« Die Ära der zellbasierten Immuntherapien hat gerade erst begonnen. »
Als ich meine Forschungsarbeit in den Siebzigern in den USA begann, wurde viel über sogenannte "Bubble-Kids" berichtet. Das waren Kinder, die kein funktionsfähiges Immunsystem besaßen und deshalb in einer sterilen Plastikblase leben mussten. Man stellte fest, dass bei ihnen der Thymus unterentwickelt war, der viele nach ihm benannte T-Zellen enthielt. Dann wurde der Zusammenhang klar: Der Thymus und seine Zellen spielen eine entscheidende Rolle für das Immunsystem! Damit konnte sich die Immunologie als Forschungsgebiet von Biologie und Biochemie emanzipieren und etablieren.
Ich war Teil einer ersten Gruppe junger Forschender, die versuchten, mehr über T-Zellen herauszufinden. Schließlich haben meine Kollegen und ich entdeckt, dass es verschiedene Arten von T-Zellen gibt: Killer-T-Zellen und Helfer-T-Zellen mit einer Art Gedächtnis. Und wir haben gelernt, sie durch Oberflächenmarker zu unterscheiden. Die Bedeutung von T-Zellen hat mich völlig überzeugt, und ich widmete ihnen mein zukünftiges Forscherleben. Gleichzeitig wurde es möglich, "Bubble-Kids" mit Knochenmarktransplantationen die notwendigen Immunzellen zurückzugeben.
Wir haben einen komplexen Mechanismus verstanden, mit dem Killer-T-Zellen virusinfizierte Zellen sehr spezifisch identifizieren und abtöten können. Das führte zu der Idee, T-Zellen auch zur Bekämpfung von Krebszellen einzusetzen. Nach jahrelanger Arbeit lieferten Versuche den Beweis, dass das Konzept funktioniert, und die Theorie konnte in die Realität umgesetzt werden: Ende letzten Jahres wurden in den USA zwei erste Therapien zugelassen. Sie zeigen sehr hohe Erfolgsraten bei der Beseitigung von Blutkrebs und geben Hoffnung, dass die Ära der zellbasierten Immuntherapien beginnt.
Wir können heute T-Zell-Rezeptoren gegen viele Krebsziele identifizieren und isolieren und führen derzeit mit unserer T-Zell-Therapie MDG1011 eine der ersten klinischen Studien dieser innovativen Therapieform in Deutschland durch. Das ist das Ergebnis von 30 Jahren intensiver Forschung, in denen die verschiedenen T-Zellen und ihr Rezeptorkomplex untersucht wurden. Mein Team und ich arbeiten seit 2014 bei Medigene an der nächsten Generation von Immuntherapien. Sie soll natürliche T-Zell-Rezeptoren verwenden, um Krebs zu bekämpfen.
Vor vielen Jahren erforschte ich an Mausmodellen, wie sich T-Zellen im Körper verhalten. Als in unserer Mauskolonie eine Infektion ausbrach, mussten wir Tausende von nicht infizierten Mäusen innerhalb von 24 Stunden impfen, um ihr Leben zu retten. Dabei wurde ich gebissen und gekratzt, wodurch ich eine schwere Mausallergie entwickelte. Seitdem kann ich keine weiteren Experimente an Mausmodellen machen und musste neue Methoden zur Untersuchung des menschlichen Immunsystems entwickeln. An Blut- und Tumorproben von gesunden Spendern und Patienten lernten wir dann, wie T-Zellen im Körper funktionieren. Die Erfahrungen, die ich über viele Jahre sammeln konnte, helfen uns heute dabei, die Wirkung unserer zellulären Immuntherapien bei Patienten zu beurteilen, die an unseren klinischen Studien teilnehmen.
Prof. Dr. Dolores Schendel, Vorstandsvorsitzende und Forschungs- und Entwicklungsvorstand (CEO/CSO), Medigene.
Seit den 1970er-Jahren forscht Prof. Dr. Dolores Schendel an T-Zellen und ihren Fähigkeiten in der Immuntherapie
und hat mit großer akademischer Hartnäckigkeit die wissenschaftliche und therapeutische Zeitenwende auf diesem Gebiet mitbegleitet.
Dolores Schendel lehrte als Professorin für Immunologie im Bereich Onkologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität,
verfasste mehr als 200 wissenschaftliche Publikationen, war mehrere Jahrzehnte Mitglied in Gutachtergremien verschiedener Forschungsorganisationen
und dem Europäischen Forschungsrat, ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes und erhielt kürzlich den "Deutsche Krebshilfe Preis".
Von 1998 bis 2013 leitete sie das Institut für Molekulare Immunologie des Helmholtz Zentrums München,
im Anschluss daran gründete sie die Trianta Immunotherapies GmbH.
Seit deren Übernahme 2014 durch Medigene ist Dolores Schendel deren Vorstand für Forschung und Entwicklung und seit 2016 zudem Vorstandsvorsitzende des Unternehmens.